Menschenleere Straßen, geschlossene Theater, gesperrte Stühle in den Parlamenten – wer in diesen Wochen Bilder aus Berlin und anderswo in Deutschland sieht, wähnt sich eher in einem düsteren Filmszenario als in der eigenen Realität.
Niemand hätte wohl je ahnen können, wie schlagartig sich das Zusammenleben in unserer freien und offenen Gesellschaft verändern konnte, nein musste, um hierzulande die Corona-Pandemie einzudämmen. Die Monate März und April – und sicherlich auch viele weitere Wochen darüber hinaus – stehen aktuell ganz im Zeichen des Kampfes gegen das Corona-Virus. Die Menschen, die in den Krankenhäusern als Ärzt*innen, Pflegekräfte oder in anderer Funktion arbeiten, leisten dazu Gewaltiges; ebenso die Menschen, die das »restliche Leben« aufrecht erhalten – von den Beschäftigten im Einzelhandel über die Verkehrsbetriebe bis zu Polizei und Feuerwehr.
Was Ende 2019 in China als neue, unbekannte Viruserkrankung begonnen hat, bedroht nun mittlerweile weltweit das Leben und die Gesundheit von Menschen und führt zu ungeahnten Folgen für die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Grundlagen unseres Zusammenlebens.
Was sich genau ändern wird, weiß heute niemand. Dass sich jede Menge ändern wird, spüren wir hingegen alle.
Auch für die Zivilgesellschaft wird sich vieles verändern und Unvorhergesehenes ergeben: neue Aufgaben, veränderte Rahmenbedingungen, zusätzliche Herausforderungen in der Finanzierung. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt kann noch niemand einschätzen, welche Verwerfungen für Vereine, Verbände, NGOs und Stiftungen daraus resultieren werden.
Aktuell sind alle Akteure noch damit beschäftigt, auch im Krisenmodus arbeitsfähig zu bleiben und neue Strategien für die Phase des öffentlichen Lockdowns zu entwickeln und dem Gebot der physischen Distanzierung zu folgen. Das gilt natürlich auch für die Berliner Stiftungswoche im Ausnahmejahr 2020: Am 14. April, also direkt nach den Ostertagen, beginnt sie. Zum elften Mal findet sie statt, und dies in ununterbrochener Reihenfolge. Auch in diesem Jahr umfasst sie wieder elf Tage, ehe sie am 24. April zu Ende geht. Und doch ist alles anders. Die Stiftungswoche kann in diesem Jahr eben kein Veranstaltungsmarathon mit einzelnen Events überall in der Stadt sein. Die teilweise seit Monaten vorbereiteten 120 Veranstaltungen, Ausstellungen und Projektvorstellungen können nicht wie geplant durchgeführt werden. Die rund 100 teilnehmenden Stiftungen können die Interessierten nicht persönlich vor Ort begrüßen und über ihre Arbeit informieren.
Durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf das öffentliche Leben zeichnete sich bereits Mitte März ab, dass die Stiftungswoche nur in einem veränderten Rahmen stattfinden kann – im Internet. Deshalb wurde schnell entschieden, die Website der Stiftungswoche zu erweitern und für neue Funktionen zu öffnen. So können Stiftungen nun die geplanten Veranstaltungen beispielsweise mit einem Livestream übertragen und diese Verlinkung auf der Website der Stiftungswoche platzieren. Vortragende können ihre Redemanuskripte veröffentlichen oder ihren Beitrag als Video hochladen. Es ist möglich, Ausstellungsrundgänge virtuell anzubieten oder Stadtspaziergänge durch eine Fotodokumentation zu ersetzen.
Happiness ain’t something you sit back and you wait for*
Der Online-Veranstaltungskalender, der sonst naturgemäß auf die Tage im April beschränkt ist, wurde ebenfalls erweitert – bis zum 31. Dezember 2020. Nun können die Stiftungen die Nachholtermine der einzelnen Veranstaltungen dort eintragen, sobald diese feststehen.
Die Stiftungen haben in den vergangenen Wochen zum Teil sehr kreativ auf die Vorschläge aus dem Büro der Stiftungswoche reagiert und innovative, neue Formate entwickelt. Zum Zeitpunkt, an dem dieser Artikel verfasst wird, sind all diese Planungen noch nicht abgeschlossen. Vieles ist noch im Fluss, manches wird sicher ein Experiment – für die jeweilige Stiftung, aber auch für die Stiftungswoche als Kooperationsnetzwerk der Berliner Stiftungen. Es ist die elfte Stiftungswoche in Berlin und gleichzeitig die erste unter diesen besonderen Bedingungen.
Engagement sichtbar machen – das ist so etwas wie der programmatische Leitspruch oder auch der Claim der Berliner Stiftungswoche. Dafür gibt es diese Plattform, die die Aktivitäten der Stiftungen in Berlin regelmäßig ins Schaufenster stellt und zeigt, was sonst oft eher im Verborgenen geleistet wird.
Das Engagement der Stiftungen wird sich noch in ganz anderer Hinsicht erweisen: Viele Stiftungen und andere gemeinnützige Akteure werden sich speziell engagieren, um die Folgen der Pandemie zu mindern oder abzufedern. Sie werden sich um Menschen kümmern, die unverschuldet in Not geraten sind. Sie werden sich an großen oder kleinen Rettungsschirmen beteiligen, die Kulturinitiativen, soziale Anlaufstellen oder andere Einrichtungen auffangen wollen, die in eine finanzielle Schieflage geraten sind. Andere Stiftungen, die ihre Projekte vor allem über Fundraising finanzieren und die aktuell unter geringen Spendeneinnahmen leiden, werden vielleicht selbst Unterstützung benötigen, um die Auswirkungen der Krise zu überwinden.
Das alles ist zum jetzigen Zeitpunkt noch offen und viele Fragen sind noch unbeantwortet. Was jedoch inzwischen nahezu beantwortet scheint, ist die Frage, die als Schwerpunktthema für die diesjährige Stiftungswoche gewählt worden war: »Glück heute?« – So haben die Veranstalter der Stiftungswoche das Format für das Jahr 2020 überschrieben. Es entbehrt nicht einer gewissen Ambivalenz, wie die Frage heute wirkt, welche Gedanken und Empfindungen sie heute auslöst. Als sich die Berliner Stiftungsrunde, die die Stiftungswoche institutionell trägt, im Frühsommer 2019 auf dieses Schwerpunktthema festgelegt hat, standen andere Überlegungen im Vordergrund. Die Frage nach dem »Glück heute« sollte ganz bewusst ein Akzent sein, wie in einer Welt mit sehr vielen negativen Entwicklungen gegengesteuert werden kann – ganz persönlich im eigenen Umfeld oder politisch und gesellschaftlich. So haben wir die Gedankengänge in manchen Texten zusammengefasst: Darf man noch sein individuelles Glück suchen oder anstreben, wenn das Klima außer Kontrolle gerät, Tropenwälder brennen, weltweit Millionen Menschen auf der Flucht sind und Rassisten in Regierungen und Parlamente gewählt werden?
Das Schwerpunktthema »Glück heute?« war gedacht als Lichtpunkt in den dystopischen Szenarien unserer Zeit. Und die rund 100 Stiftungen, die unserem Aufruf gefolgt sind und an der Stiftungswoche teilnehmen, haben ihre Antworten auf diese Frage gefunden oder zumindest haben sie viele überzeugende Teilantworten zusammengetragen. Davon zeugen die Veranstaltungen, auch wenn sie ersatzweise im Internet stattfinden oder erst in der zweiten Jahreshälfte nachgeholt werden.
Und dann kam Corona. Zuerst der Virus, dann die Pandemie, derzeit der Lockdown sowie der Notstand in den Krankenhäusern. Und auf den Plakaten der Stiftungswoche prangt die Frage nach dem »Glück heute«? Ja, die Frage stellt sich noch. Aber sie hat jetzt im Schatten der Pandemie auch eine sehr einfache Antwort gefunden: ein Leben frei von Sorgen und Ängsten.
*In einer frühen Fassung dieses Artikels, entstanden bevor die Corona-Pandemie Deutschland erreicht hatte, hätte diese bewusst einfache, ja harmlose Liedzeile den Text augenzwinkernd als Zitat schmücken sollen. Wenn sich nun ein Großteil der Gesellschaft »zurücklehnen« oder eher zurücknehmen soll, bekommt die Zeile eine ganz neue Note. Das Glück wird dennoch nicht von sich aus vorbeikommen. Dennoch lautet die Devise in dieser Zeit: #stayathome. Aus: »Dance again«, Selena Gomez (2020)