Von Yonca Güngör und Till Dahlmüller
Dreck, Fahrradleichen, Verkehrskrach, strenge Gerüche. Aber auch: Der beste Lahmacun, Çiğköfte, Adana Kebap. Und vor allen Dingen: Freunde, Familie, zu Hause, Kiezgefühl! Viele Jugendliche stehen dem Kottbusser Tor ambivalent gegenüber. Bekannt ist dieses als Kriminalitäts-Hotspot, place to be für Junkies und Touristen gleichermaßen, und urbaner (Verkehrs-)Knotenpunkt. In den Medien wird der Platz gern als Ort des Spektakels von Gewalt, Drogen und Kriminalität inszeniert. Und tatsächlich: All dies ist auch mehr oder weniger täglich am Kotti sichtbar. Doch für die Jugendlichen, die hier Wohnen ist der Kotti vor allem ihr zu Hause. Welchen Blick haben junge Menschen auf einen solch widersprüchlichen, solch vielfältigen Ort? Wie erleben sie ihn? Was stört sie und was lieben sie an ihm? Wie soll er sich verändern?
Im Leben vieler Schüler*innen der 8A der Albrecht von Graefe Schule ist der Kotti ein zentraler Ort. Sei es, dass sie den großen, runden, auf den ersten Blick unübersichtlichen Platz täglich auf ihrem Weg zur Schule überqueren oder sei es, dass sie direkt dort wohnen. Für viele ist der Kotti letztlich ein Treffpunkt. Hier läuft man zufällig Freundinnen, dem Onkel oder der Tante über den Weg und trifft sich mit Freunden zum Essen in einem der unzähligen Läden.
Daraus entstand die Idee, sich mit diesem vielgestaltigen Ort näher zu beschäftigen. Die Jugendlichen gingen an den Kotti und fotografierten Ecken, Läden, Objekte, Architektur, die sie lieben, hassen, die sie neu entdeckten oder, die für sie eine andere starke emotionale Bedeutung haben. An Projekttagen wurden Fragen rund um das Thema Stadt, Wohnen und Gentrifizierung gemeinsam diskutiert und vertieft: Was ist eine Stadt? Wem gehört sie? Leben wir gerne in einer Stadt? Wie verändert sich unsere Stadt und warum ist das so?
Das Projekt beschäftigt sich mit Fragen rund um die Themen Stadt und Wohnen, soziale Probleme, und die Beziehung der Jugendlichen zu ihrem Kiez. Ziel war es, ein Bewusstsein für die Verquickung der eigenen Lebensrealität mit sozialen und politischen Fragestellungen zu schaffen. Fotografie als Medium schärfte den Blick auf den Ort Kotti und seine Details, bot Anlass Neues daran zu entdecken und sich darüber auszutauschen. Genauso wichtig war es, dabei immer wieder den Prozess selbst in der Gruppe zu reflektieren: Wer macht was? Wie arbeiten wir als Team gut zusammen? Können wir uns Wissen gemeinsam aneignen?
(Die Bilder, die im Rahmen der Stiftungswoche im Allianz Forum ausgestellt sind, wurden zu dem Zeitpunkt, an welchem dieser Text verfasst wurde noch nicht geschossen. Sie werden an einem zweiten Projekttag Anfang März entstehen.)
Dialog macht Schule ist ein bundesweites Demokratiebildungsprogramm, das, wie im Projekt „Kottigraphien“, die Erlebnisse, Erfahrungen und Geschichten von Kindern und Jugendlichen zum Ausgangspunkt der Arbeit macht. Das Programm setzt sich für eine Demokratie ein, in der alle Menschen, unabhängig von ihrer Herkunft oder des sozialen Status, an unserer Gesellschaft teilhaben können.
In diesem Bestreben begleitet Dialog macht Schule Kinder und Jugendliche an Schulen in sozial-räumlich schwieriger Lage. Dafür werden junge Studierende unterschiedlichster Fachrichtungen zu Dialogmoderator*innen (DM) qualifiziert. Die DM arbeiten über zwei Jahre wöchentlich mit ihren Schüler*innen (SuS) zusammen. Diese intensive Form der Begleitung ermöglicht den DM, eine Beziehung zu den SuS aufzubauen. Sie bildet auch die Basis der Arbeit in den Dialoggruppen: Im geschützten Vertrauensraum haben die SuS die Möglichkeit ihre Themen, Erfahrungen und Meinungen einzubringen.
Die eingebrachten Themen der Kinder und Jugendlichen bilden dann den Ausgangspunkt der gemeinsamen Arbeit:
• Ein Liebesfilm kann zu einer intensiven Diskussion über Geschlechterrollen führen
• Ein Konflikt im Klassenraum zum Austausch über das gemeinsame Miteinander
• Ein aktuelles Thema, wie die Inhaftierung von Journalist*innen, zum Dialog über Pressefreiheit
Unter Einsatz verschiedenster Methoden und moderner Medien, nähern sich die DM und SuS den eigenen Themen. Diese bereiten sie gemeinsam auf, tauschen sich aus, positionieren sich, diskutieren kontrovers, lernen neue Perspektiven kennen und reflektieren. So werden soziale und demokratische Kompetenzen bei den Schüler*innen weiterentwickelt.
Die thematischen Auseinandersetzungen mit den eigenen Erlebnissen münden dann in selbstgestaltete Projekte der Schüler*innen, die ihnen zum einen eigene positive Selbstwirksamkeitserlebnisse ermöglichen und zum Anderen auf andere Art und Weise eine Möglichkeit bietet ihren Ansichten und Meinungen eine Stimme und Ausdruck zu verleihen.
Die Dialog macht Schule gGmbH hat sich als Organisation, dank der langjährigen Erfahrung und vielfältigen Einsatzgebieten zu einem Kompetenzzentrum in den Themenfeldern Demokratiebildung, politischer Bildung, Arbeit mit den Zielgruppen Kinder und Jugendliche, Lehrkräfte, Multiplikator*innen, Organisationen und Stiftungen sowie Projektkonzeption, Workshopdurchführung und Beratung entwickelt und trägt diese Erfahrungen und Kompetenzen in verschiedenen Angeboten und Projekten weiter.