Christina Rau auf der Abschlussveranstaltung der 8. Berliner Stiftungswoche (Foto: SeeSaw Agency/ BSW)

In Verantwortung handeln, nicht in Zuständigkeiten denken

Im Jahr 2011 hatte Christina Rau erstmals die Schirmherrschaft zur Berliner Stiftungswoche übernommen. Bis 2017 begleitete und unterstützte sie das Kooperationsprojekt der Stiftungen in der Hauptstadt. ExtraBlatt sprach im Frühjahr 2014 mit Christina Rau über die Schwerpunkte ihres Engagements für Stiftungen in Berlin und anderswo.

 

Das Ehrenamt hat Konjunktur – so könnte man fast meinen. Vielleicht haben die Medien in den vergangenen Jahren das Thema auch nur »neu entdeckt «. Hat das freiwillige Engagement in Ihren Augen zugenommen oder hat es sich eher qualitativ verändert?

Das Engagement von Bürgern gab es zum Glück schon immer. Mein Eindruck ist, dass man sich heute gezielter in kleineren Gruppen trifft, um gemeinsam etwas zu bewegen – für eine bestimmte Zeit und zu einem bestimmten Thema. Anders als bei früheren Generationen geben nicht mehr die sozialen Milieus vor, wo man sich engagiert. Waren es damals die Gewerkschaft, die freiwillige Feuerwehr oder die Kirche, so entscheiden sich die Menschen heute freier. Auch die Vielfalt der Angebote hat enorm zugenommen, nicht zuletzt durch die Möglichkeiten im Internet. Vieles ist schneller und auch spontaner geworden.

Im Gegensatz dazu sind Stiftungen fast ein Anachronismus – auf die Ewigkeit angelegt, mit dem Klischee, als bürokratisch oder abgehoben zu gelten. Wie nehmen Sie Stiftungen wahr?

Die Stiftungslandschaft wird immer bunter und vielfältiger. Da gibt es natürlich nach wie vor die großen, traditionsreichen Stiftungen im sozialen Bereich, die beispielsweise Kliniken oder Pflegeheime betreiben. Daneben kommen immer mehr Unternehmensstiftungen hinzu, die ihr Engagement aus den Zuwendungen des Unternehmens bestreiten. Außerdem gibt es immer mehr Stiftungen, die für Ihre Idee Spendengelder einsammeln.

Das Verbindende allerdings ist, dass sie sich alle – wenn auch in unterschiedlichen Bereichen – für das Gemeinwohl einsetzen. Gerade bei den jungen Stiftungen sieht man, dass nicht die Höhe des Stiftungskapitals entscheidend ist. Vielmehr geht es um kreative Ideen und innovative Ansätze. Denn Stiftungen können mithelfen, soziale Gerechtigkeit herzustellen.

Engagement sichtbar machen – das will die Berliner Stiftungswoche. Sie engagieren sich seit vielen Jahren für unterschiedliche gemeinnützige Organisationen und Projekte. Wonach wählen Sie die Anfragen aus?

In der Zeit, als mein Mann Ministerpräsident und Bundespräsident war, hatte ich die Möglichkeit, die ganze Breite des gesellschaftlichen Engagements kennenzulernen; und dabei auch Menschen, die sich zu denselben Themen engagieren, zusammenzuführen. Das ist auch das Interessante an der Stiftungswoche: Es gibt so viele Stiftungen, die ähnliche Ziele haben, aber nichts voneinander wissen. Die Stiftungswoche ist hier eine ideale Plattform, um Synergieeffekte zu erkennen und zu nutzen – etwa für gemeinsame Projekte. Ich finde es sehr schön, dass sich immer mehr Stiftungen vernetzen und zu bestimmten Themen zusammenarbeiten.

Sie haben 2004 nach dem großen Tsunami in Südostasien die Hilfsangebote aus Deutschland koordiniert. Ist die Aufgabe abgeschlossen oder sind Sie hier noch tätig?

Es gab nach dem Tsunami ein gewaltiges Spendenecho in Deutschland. Die Frage war, wie bekommt man diese Mittel zielgerichtet in Aufbauprojekte der betroffenen Länder? Es handelte sich doch schließlich um souveräne Staaten. Den Bedarf einerseits und die Spendengelder andererseits zusammenzubringen – das war die Aufgabe, um die mich damals Bundeskanzler Gerhard Schröder gebeten hat. Partnerschaften auf Augenhöhe sollten dauerhaft entstehen und bei einigen Projekten ist dies auch gelungen. Hervorragend war damals die Zusammenarbeit zwischen dem Außenministerium und dem Entwicklungsministerium. Nach zwei Jahren konnte ich dann den Abschlussbericht an Bundeskanzlerin Angela Merkel übergeben.

Die Verständigung mit Israel ist eines Ihrer Themen, zu dem bereits Ihr Mann eine starke Bindung hatte. Wo sind Sie hier aktiv?

Zurzeit vor allem in der Stiftung »Deutsch-Israelisches Zukunftsforum«, die die beiden Regierungen ins Leben gerufen haben. Wir haben bald immer weniger Zeitzeugen, die vom Holocaust berichten können. Wie hält man die Erinnerung wach und wie bringt man die Jugend unserer beider Länder zusammen, um mehr voneinander zu wissen und sich auszutauschen? In die einzelnen Begegnungsprojekte sind viele Vereine, Gruppen und weitere Stiftungen eingebunden. Inzwischen ist hier ein weit verzweigtes Netzwerk entstanden.

In Berlin setzen Sie sich auch für das Bildungszentrum Campus Rütli in Neukölln ein. Wie kam es zu diesem Engagement?

Wir, der Stiftungsrat der Stiftung Zukunft Berlin, wollten von Anfang an Verantwortung für einzelne Themen übernehmen. Wie können wir das Know-how der Bürger in politische Entscheidungen einfließen lassen? Neukölln war damals mit dem Thema Rütli-Schule in sehr negativen Schlagzeilen. Unser Ziel war es, den Bezirk mit positiven Nachrichten in die Schlagzeilen zu bringen. Der Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky hat dann die Idee des Bildungscampus aufgebracht und uns als Stiftung gebeten, das Vorhaben mit langem Atem zu unterstützen. 

Wie sehen Sie den Campus Rütli heute?

Der Campus Rütli zeigt, dass es vor allem auf Menschen, ihre Veränderungsbereitschaft und ihre Gestaltungskraft ankommt. Vor Ort wird engagierte pädagogische Arbeit geleistet, Lösungen werden mit den Schülern und Schülerinnen gemeinsam erarbeitet. Die Eltern sind einbezogen, Musikschule, Volkshochschule, Jugendgesundheitsdienst und viele weitere Akteure wirken mit – es hat sich eine echte Willkommenskultur entwickelt. Die zweite Säule des Campus Rütli ist die breite Unterstützerstruktur, also die Zusammenarbeit mit Politik, Verwaltung, Stiftungen und weiterem bürgerschaftlichem Engagement. Gemeinsam wollen wir die Grenzen aufzeigen, auf die wir bei der Organisation von Bildung bisher stoßen und hier Veränderungen bewirken. Damit stehen wir vor einer weiteren großen Herausforderung in der Campus-Entwicklung. 

In der Regel dauern Veränderungen im Bildungsbereich Jahre, wenn nicht Jahrzehnte …

Mein Motto ist es, lieber in Verantwortung zu handeln, als nur in Zuständigkeiten zu denken. Der Campus Rütli ist heute ein gutes Beispiel dafür, was gelingen kann, wenn alle Beteiligten an einem Strang ziehen. In dem Projekt habe ich in den vielen Gesprächen mit den Schülern und Pädagogen vor allem eines gelernt: Noch wichtiger als jeder Neubau auf dem Gelände sind gegenseitige Anerkennung und Wertschätzung.

Was steht als Nächstes auf dem Campus an?

Aktuell suchen wir noch Unterstützer für die geplante Berufsbildungswerkstatt auf dem Gelände. Wichtig ist es, den Jugendlichen Hilfestellung zu geben, zum Beispiel beim Übergang von der Schule in das Berufsleben. Von offizieller Seite ist dafür niemand zuständig. Deshalb wollen wir hier aktiv werden. Und dazu suchen wir noch Unternehmen, die uns unterstützen.

Das Beispiel Rütli zeigt es: Bildungsprojekte für Kinder und Jugendliche liegen Ihnen besonders am Herzen. War hier auch Ihr eigenes Elternhaus prägend?

Das Elternhaus in Bielefeld und auch die Schulzeit. In dem Internat, das ich besucht habe, war ein Nachmittag in der Woche blockiert für soziale Dienste. Ich habe mich damals bei der Bergwacht engagiert. Kinder muss man früh an Aufgaben heranführen, dann bleibt es ein Leben lang eine Selbstverständlichkeit, über den eigenen Tellerrand hinauszublicken.

Vom Leben in der Stadt – so lautet das Schwerpunktthema der diesjährigen Stiftungswoche, mit der Unterzeile »Verantwortung für Veränderung «. Stiftungen zeigen, wo sie bereits aktiv sind und wo sie sich engagieren. Und sie weisen darauf hin, wo noch gehandelt werden muss. Wo sehen Sie aktuell »Handlungsbedarf« für die Zivilgesellschaft?

Natürlich sind hier die großen Themen zu nennen: Klima, Demographie, Bildung, … Aber eine besondere Herausforderung liegt darin, einerseits Bürger aktiv in Entscheidungsprozesse einzubinden und andererseits nicht Gefahr zu laufen, nur Partikularinteressen umzusetzen. Wir müssen die Einbindung der Bürgerschaft sorgfältig austarieren. Die politischen Ebenen dürfen nicht einfach nur der lautesten Lobbygruppe nachgeben. Gerade bei Stiftungen sehe ich das Potenzial, ihre Stimme und ihre Erfahrungen einzubringen. Ich denke, die Stiftungswoche liefert wieder anschauliche Beispiele, von denen wir entsprechend lernen können. Wir können gespannt sein.