Glück ist keine Glückssache

Warum nicht Work-Life-Balance, sondern der Fokus auf »Unternehmensglück« zukunftsfähige Unternehmen hervorbringen kann

 

Die Frustration der jungen Generation angesichts der heutigen Arbeitsrealität in unseren Unternehmen nimmt rasant zu. Ihr Ruf nach mehr Work-Life-Balance ist allerdings kein Symptom einer zunehmend verwöhnten Jugend, sondern ein alarmierendes Warnsignal dafür, dass die Welt der Arbeit von den Menschen immer seltener als lebenswert erachtet wird. Dabei nimmt Arbeit nicht nur einen der größten Anteile unseres aktiven Lebens für sich ein, sondern gehört – neben ihrer wirtschaftlichen Rolle – auch zu den wichtigsten Entwicklungsbereichen für persönliches Wachstum. Eine Vermeidungsstrategie, um die Belastung durch unbefriedigende Arbeit zu minimieren, kann nur in eine Sackgasse führen. Wir müssen stattdessen unsere Unternehmen wieder zu einem bereichernden Teil des Lebens machen. Die Voraussetzungen hierfür sind identisch mit denen für ein glückliches Leben – und fördern gleichzeitig eine Kultur der intrinsischen Motivation, die die Anforderungen einer Wirtschaft 4.0 bewältigen kann.

Mit der zunehmenden globalen Vernetzung und den Herausforderungen der Digitalisierung scheint unsere Arbeitsrealität zu Beginn des Jahrtausends in einen unentrinnbaren Strudel geraten zu sein, in der die äußeren Anforderungen einer VUCA1-Realität immer schneller steigen und gleichzeitig der zunehmende Leistungsdruck in den Organisationen die Motivation der Mitarbeiter immer schneller sinken lässt. Während Führung immer herausfordernder wird, ist die Forderung nach mehr »Work-Life-Balance« für viele Mitarbeiter zu einem Notventil geworden, um wenigstens temporär diesem Systemdruck entfliehen zu können.

Angesichts knapper Bewerberzahlen für die exponentiell steigende Zahl an »Kopfleistungsträgern«, die wir dringend für den Umbau unserer bisherigen Geschäftsmodelle auf die neue Welt des 21. Jahrhunderts benötigen, erscheint es alternativlos, dieser Forderung immer mehr nachzugeben und über belastungsreduzierte Arbeitskonzepte nachzudenken. Allerdings wird uns dies nicht dabei helfen, die Komplexität zu bewältigen, die durch die neuen Möglichkeiten der Digitalisierung, aber auch die zunehmenden Anforderungen an nachhaltiges Wirtschaften alles bisher Gewohnte und Richtige in Frage zu stellen scheint.

Es wird Zeit, dass wir uns von unserem mentalen Modell lösen, dass Arbeit inhärent mit Leiden verbunden ist und wir daher materiellen Ausgleich in zunehmendem Umfang bieten müssen, um dies zu kompensieren. Wir haben diese säkularisierte Version des biblischen Sündenfalls so in unseren Führungskonzepten verinnerlicht, dass es schwer fällt, etwas anderes für möglich zu erachten. Allerdings hat die Motivationsforschung schon vor Jahrzehnten darauf hingewiesen, dass es neben der extrinsischen Motivation, mit der wir bisher exklusiv unsere Führungssysteme konzipiert haben, auch die intrinsische Motivation gibt. Sie induziert ein Handeln aus eigenem Antrieb heraus, das ultimativ in Flow kumuliert, einem Glücksgefühl, in dem man völlig in seiner Tätigkeit aufgeht. 50 Jahre psychologischer Forschung2 haben gezeigt, dass diese Form der Motivation durch drei wesentliche Faktoren gefördert wird, die auf allen systemischen Ebenen vorhanden sein müssen: das Gefühl von hinreichender Autonomie, von wirksamer Kompetenz sowie ein gesundes Beziehungsumfeld.

Es ist gerade diese intrinsische Motivation, die für Innovation, Kreativität und agiles, eigenverantwortliches Handeln notwendig ist – Qualitäten, nach denen wir händeringend in unseren Unternehmen suchen. Eine zunehmende Zahl an Start-ups zeigt uns, dass dies auch in der neuen Arbeitsrealität möglich ist – und bisher für unvorstellbar gehaltene Ideen und Konzepte mit minimalen Ressourcen hervorbringen vermag. Allerdings ist es nicht leicht, ein solches Umfeld auch in größeren Organisationen umzusetzen – weshalb viele erfolgreiche Start-ups in ihrer Wachstumsphase daran scheitern.

Denn wie bei der Suche nach Glück, bei der wir eines Tages feststellen, dass uns Geld alleine nicht glücklich macht, so gibt es keinen eindimensionalen Kausalzusammenhang. Intrinsische Motivation benötigt ein Umfeld, in dem gleichzeitig eine Vielzahl an Randbedingungen erfüllt werden. Für diese Herausforderung existieren allerdings bisher keinerlei ganzheitliche Führungskonzepte.

Inspiriert durch das Führungsmodell des Staates Bhutan, das sich für ein glückliches Leben seiner Bewohner an einer Balanced Scorecard aus neun Lebensbereichen orientiert, versucht das »Gross Corporate Happiness«-Modell diese Lücke zu schließen. Es ist ein systemischer Ansatz, um alle notwendigen Randbedingungen für eine Unternehmensrealität zu schaffen, die ein erfülltes Leben auch in der Arbeit ermöglicht – und gleichzeitig die Agilität und Innovationsleistung der Organisation für komplexe Wirtschaftsrealität des 21. Jahrhunderts stimuliert.

Anders als Staaten hat unternehmerische Führung bisher kein Mandat, das Glück der Menschen in den Mittelpunkt zu stellen. Angesichts der Anforderungen, mit denen unsere Organisationen in einer Wirtschaft 4.0 konfrontiert sind, und der Kompetenzen, die hierfür notwendig sind, sollten wir dies allerdings dringend überdenken. Und Stiftungen können bei der Suche nach einem sinnhaften gesellschaftlichen Beitrag des Unternehmens eine Schlüsselrolle spielen.


1 Volatility, Uncertainty, Complexity and Ambiguity
2 Selbstbestimmungstheorie, Richard M. Ryan und Edward L. Deci, Universität Rochester