»Europa bewahren und gestalten« - Die Kanzelrede von André Schmitz zum Gottesdienst in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche

Der Gottesdienst zur Stiftungswoche

 

Es ist schon eine kleine Tradition: Seit einigen Jahren stellt Pfarrer Martin Germer das jeweilige Schwerpunktthema der Berliner Stiftungswoche in den Mittelpunkt des Gottesdiensts an dem Sonntag, der in die elf Tage der Stiftungswoche fällt. So auch im Jahr 2018. Gemeinsam mit der Schwarzkopf-Stiftung Junges Europa wurde der Gottesdienst am 22. April 2018 vorbereitet und mit zahlreichen Beiträgen gestaltet. Das Schwerpunktthema der Stiftungswoche wurde dabei leicht abgewandelt: »Alles im Fluss – Europa bewahren und gestalten«. Im Gottesdienst berichteten u.a. mit Monika Seidel und Banyu Ellwein zwei junge Beschäftigte der Schwarzkopf-Stiftung von ihrer Arbeit mit Jugendlichen zum Thema Europa.

Anstelle einer Predigt beinhaltete der Gottesdienst eine Kanzelrede, die der Vorstandsvorsitzende der Schwarzkopf-Stiftung, André Schmitz, gehalten hat. Hier können Sie die Kanzelrede im Wortlaut nachlesen.

 

 

Die Kanzelrede vom 22. April 2018

Liebe Gemeinde,

»Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.« (2. Kor. 5,17)

Das ist der Wochenspruch des heutigen Sonntags Jubilate, mit dem wir diese Woche beginnen. Er scheint wunderbar zu passen zum Motto der diesjährigen Stiftungswoche »Alles im Fluss – Vom Bewahren und Gestalten«.

Sowohl im Wochenspruch, als auch im Motto der Stiftungswoche, geht es um Erneuerung. Und auch in den Teilen der Schöpfungsgeschichte, die wir gehört haben, geht es um neues Werden. Sie erzählt, wie Gott das Chaos bändigt (»wüst und leer« heißt auf Hebräisch: »Tohu wa bohu«) und wie er aus diesem Chaos heraus eine lebensfreundliche Ordnung entstehen lässt, eine Welt, in der Pflanzen, Tiere und Menschen leben können. Diese Ordnung vertraut er dann den Menschen an. Sie sind in der Lage, sich die Erde »untertan« zu machen mit allem, was darauf lebt. Sich die Erde »untertan« zu machen, bedeutet aber nicht, unbeschränkt über sie herrschen zu können. Vielmehr meint der Bibeltext, dass wir Verantwortung über die Erde haben. Verantwortung zum »Bewahren und Gestalten«. Und in dieser Verantwortung werden die Menschen gesegnet. Ihnen wird Gottes Beistand zugesprochen.

In der Menschheitsgeschichte, wie sie in der Bibel erzählt wird, werden Menschen dieser Verantwortung allerdings immer wieder nicht gerecht. Im »Fluss« der Zeiten verhalten sie sich immer wieder verantwortungslos gegenüber dem, was ihnen übertragen wurde. Das, was Gott »sehr gut« geschaffen hat, bringen sie in Gefahr. Sie werden damit einerseits Gott untreu, aber auch sich selbst und ihrer Bestimmung.

Deshalb erzählt die Bibel immer wieder auch davon, wie Gott die Menschen zur Umkehr ruft und wie er ihnen neue Anfänge schenkt. So ist dann auch Jesus aufgetreten. »Kehrt um und glaubt an das Evangelium«, hat er den Menschen zugerufen. Lasst euch gewinnen für die frohe Botschaft von der Menschenfreundlichkeit Gottes. Glaubt an die Vergebung, die Gott euch schenkt. Lasst euch erneuern in eurem Verhältnis zueinander und zur Welt um euch herum.

Dafür hat Jesus gelebt. Dafür ist er dann auch in den Tod gegangen, in den Tod von Menschenhand. Doch Gott hat ihn nicht im Tod gelassen. Er hat ihn aus den Toten auferweckt, damit alle, die an ihn glauben, in diesem Vertrauen leben können. Tod und Gewalt und Zerstörung haben nicht das letzte Wort. Leben ist neu ans Licht gebracht. Die Schöpfung wird erneuert.

Daran erinnert der Wochenspruch: »Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur.« Im Glauben an Jesus, in der Verbindung mit ihm, mit dem auferstandenen Herrn, werden wir in diese neue Schöpfung hineingenommen. »Das Alte ist vergangen«. Das, was uns nur bei uns selber hält, soll nicht länger über uns bestimmen. »Neues ist geworden«, Neues will immer wieder werden.

Wir sind zwar einerseits noch die Alten, mit unseren Stärken und mit unseren Schwächen, mit unseren liebenswerten Seiten und ebenso mit dem, womit wir es anderen und womit wir es uns selbst oft genug schwer machen. Aber darin müssen wir nicht stecken bleiben. Aus dem alten, knorrigen Weinstock wachsen neue Zweige hervor, neue Reben. Und dies ist immer wieder möglich, selber neu beginnen zu können, jeden Tag, jede Woche, jeden Monat den der Herr uns schenkt. Was für ein herrliches Versprechen für jeden von uns.

»Ist jemand in Christus, so ist er neue Kreatur«, schreibt darum auch der Apostel Paulus in seinem Brief an die Korinther. Und dann steht da kurz danach sogar auch der kühne Satz: »Lasst euch versöhnen mit Gott!« Lasst das für euch gelten, dass Gott in Christus die Welt mit sich versöhnt hat und dass dem nichts mehr im Wege stehen soll. Und dann nehmt wahr, wie auch bei euch etwas neu werden will. Und wie auch durch euer Zutun in der Welt Neues werden will.

»Alles im Fluss?« Ja. Aber nach Möglichkeit in einer Richtung zum Guten hin. So wie es von Gott auf den Weg gebracht und wie es uns Menschen anvertraut wurde. Zum »Bewahren« und zum »Gestalten«.

In meinem Leben habe ich an vielen Stellen versucht, zu bewahren und zu gestalten. Durch meine Tätigkeit als Berliner Staatssekretär für Kultur hatte ich an vielen Stellen die Möglichkeit, die Berliner Kulturlandschaft mitzugestalten, erfolgreiche kulturelle Institutionen zu bewahren und ihre Arbeitsmöglichkeiten zu verbessern. Ein leidenschaftliches Thema, welches mich auch bis heute begleitet, war die Erinnerungskultur an das dunkelste Kapitel deutscher, ja, der Menschheitsgeschichte, ausgegangen von dieser Stadt: Der zweite Weltkrieg und vor allen Dingen die Shoa. Die Opfer zu ehren und die richtigen Lehren daraus für heute und morgen für uns alle zu ziehen. Mein christliches Weltbild war dabei sicherlich die Grundlage meines Handelns. In Berlin gibt es, Gott sei Dank, für dieses Anliegen viele, viele Mitstreiterinnen und Mitstreiter. Die politische Antwort auf dieses ungeheure Verbrechen der nationalsozialistischen Zeit war und ist für mich die Bewahrung und Gestaltung des Projekts Europa.

Das politische Europa ist zurzeit im Fluss. Die europäische Idee scheint inzwischen viele Gegner zu haben. Euroskeptiker sitzen in allen europäischen Parlamenten. Die Mehrheit des britischen Volks glaubt nicht mehr daran, dass die EU für sie noch einen Mehrwert hätte und möchte aus der EU austreten. Meistens stehen wirtschaftliche Bedenken hinter solchen Abwehrhaltungen. Europa wird als großes Geldgrab gesehen, durch das einige Länder nicht so viel zurückerhalten, wie sie einzahlen. Gleichzeitig erstarkt das nationalstaatliche Denken wieder. Souveränität nach Brüssel abzugeben erscheint den Anhängern dieser Ideologie als Bedrohung ihrer nationalen Identität.

Ich kann diese ablehnenden Haltungen nicht nachvollziehen, bei allem Verständnis für Kritik an der EU. Ich glaube zum einen, dass auf einem globalisierten Markt alle europäischen Länder wirtschaftlich von Europa profitieren können. Aber auch wenn dem nicht so wäre, scheint mir der größte Nutzen eines vereinten Europas in aktuellen Diskussionen oft übersehen zu werden. In meinen Augen ist das europäische Projekt in erster Linie ein Friedens- und Werteprojekt. Es ist das größte Friedensprojekt der neueren Geschichte. Schon Immanuel Kant erkannte, dass Frieden zwischen Nationen nur durch wechselseitige vertragliche Vereinbarungen zu erreichen ist und hat damit die geistigen Grundlagen der heutigen EU gelegt. Das europäische Projekt ist auch ein Werteprojekt, die Würde des Menschen und zwar jedes Menschen muss dabei im Vordergrund stehen. Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, die Achtung der Rechte der Minderheiten überall in Europa muss ein tragendes Element der Politik sein. Der Wertekanon der Europäischen Union geht zurück auf ein jüdisch-christliches Weltbild und auf die Errungenschaften der Aufklärung.

Noch die Generation meiner Eltern erlebte einen Krieg eines Ausmaßes und Schreckens, wie er uns heute unvorstellbar ist. Die Generation meiner Großeltern hat sogar zwei solcher Kriege miterleben müssen. Mein Vater musste als 18-jähriger noch in den Krieg ziehen und hat ihn nur knapp überlebt. Meine Mutter hat als kleines Kind Teile ihrer Jugend im Luftschutzbunker verbracht. Hier, in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche muss man daran eigentlich nicht besonders erinnern. Diese Kirche selber ist steinernes Zeugnis der Folgen übersteigerten nationalen Denkens und Handelns geworden.

Meine Freundinnen, die Zeitzeuginnen und Holocaust-Überlebenden Inge Deutschkron und Margot Friedländer, die diesen Dienstag vom Berliner Senat für die Würde der Ehrenbürgerschaft unserer Stadt vorgeschlagen wurden, wollte der deutsche Staat in ihrer Jugend noch umbringen. Alles nicht lange her. Was vor 60 Jahren noch undenkbar schien, nämlich die friedliche Vereinigung Ost- und Westeuropäischer Staaten, ist heute, unter dem Dach der EU, gelungen. Auch die Versöhnung von Frankreich und Deutschland, ein Thema, mit dem die Gedächtniskirche besonders eng verknüpft ist, geschah im Zuge der europäischen Annäherung. Vor dem Hintergrund der tiefen Feindschaft der beiden Länder und davor, wie unvorstellbar eine Aussöhnung beider Länder nach dem Zweiten Weltkrieg schien, ist unser heutiges Europa ein riesen Erfolg!

»Bewahren und Gestalten«, das war sicher nicht leicht für die Väter Europas, die gegen viele Widerstände die Annäherung vorantrieben. Für sie lagen ihre Vorteile Europas auf der Hand. Die Sicherung des Friedens war eines ihrer größten Anliegen, als sie begannen, die europäische Einigung voranzutreiben.

Auf den starken Grundlagen, die in den letzten sieben Jahrzehnten gelegt wurden, können wir aufbauen. Den Geist von Europa als Friedensprojekt und könnte es ein schöneres christliches Projekt als ein Friedensprojekt geben, gilt es heute für uns zu bewahren und wachzuhalten. In der Vergangenheit wurde für Europa großartiges geleistet. Dass wir jedoch nicht einfach so weitermachen können, zeigen die genannten Beispiele. Es gilt nun, an das Begonnene anzuknüpfen und die Europäische Idee in eine andere Richtung zu lenken, in eine Richtung, die mehr Menschen als bisher für Europa begeistern kann. Dies ist auch das Ziel, das sich die Schwarzkopf-Stiftung Junges Europa gesetzt hat: Junge Menschen, also diejenigen, die das Europa von morgen prägen, für die Europäische Idee zu begeistern. Dies versuchen wir bereits seit 1971. In den letzten Jahren haben wir unsere Arbeit noch einmal deutlich intensiviert und sind gewachsen. Im letzten Jahr hat die Schwarzkopf-Stiftung so über 50000 junge Menschen in 40 Ländern erreicht. In über 500 Veranstaltungen haben wir diskutiert, zugehört und voneinander gelernt. Wir haben 80 Reisestipendien vergeben und 350 Seminare an Schulen gehalten. Auf Veranstaltungen unserer Stiftung sprachen Gäste wie Frank-Walter Steinmeier, Jean-Claude Juncker, Volker Kauder und Cem Özdemir; aber auch Kirchenvertreter wie Wolfgang Huber, Markus Dröge und Margot Käßmann haben mit unseren Jugendlichen diskutiert, um das speziell Christliche im Europäischen Heute herauszuarbeiten.

Unsere Stiftungsarbeit untergliedert sich in vier Bereiche. Zunächst bieten das Seminarprogramm an, von dem Banyu Ellwein im Eingangsteil erzählt hat. Der zweite Bereich der Stiftung sind die Reisestipendien, die wir an junge Menschen vergeben. Junge Erwachsene können mit unserer finanziellen Hilfe durch Europa reisen. Denn dort, wo Menschen sich begegnen, werden hoffentlich Vorurteile abgebaut. Einzige Bedingung: Sie müssen einen Bericht zu einer speziellen, von ihnen selbst gewählten Fragestellung mit Bezug zu Europa verfassen. Der dritte Bereich der Schwarzkopf-Stiftung ist das Europäische Jugendparlament, von dem Monika Seidel erzählt hat und in dem in 40 Ländern Jugendliche aktuelle europäische Fragen diskutieren und so miteinander ins Gespräch kommen. Der letzte Bereich ist der Veranstaltungsbereich, für den wir immer wieder hochrangige und interessante Gäste dafür gewinnen können, in unserer Stiftung mit uns über europäische Fragen zu diskutieren. Ich lade Sie sehr herzlich ein, sich auf unserer Website über kommende Veranstaltungen zu informieren und daran teilzunehmen!

In den vielen Jahren, die ich mich für die Schwarzkopf-Stiftung engagiere, habe ich unzählige junge Menschen kennengelernt, die sich mit großer Leidenschaft für Europa einsetzten, die gestalten wollen! Diesen Menschen eine Plattform zu geben, um gehört zu werden, sehe ich als eine der großen Aufgaben der Schwarzkopf-Stiftung an. Wenn wir die Ideen und Werte einer neuen, jungen Generation ernst nehmen wollen, müssen wir engagierten jungen Menschen wie Monika Seidel und Banyu Ellwein eine Stimme geben. Ich bin selbst als junger Mensch zur Schwarzkopf-Stiftung gekommen. Mit 19 bin ich mit der Stiftung auf eine politische Bildungsreise in die DDR und nach Polen gefahren. Dort lernte ich Pauline Schwarzkopf, die Stifterin, kennen. Eine schicksalshafte Begegnung für mich! Geboren am 22. April 1908 hat sie in ihrem Leben fünf unterschiedlich verfasste deutsche Nationalstaaten erlebt. Sie wäre heute 110 Jahre alt geworden, genau am heutigen Tag. Die Lehre, die sie aus den Verwerfungen deutscher Geschichte in ihrem Leben als treue Christin gezogen hatte, ist aktueller denn je. Nicht nationalstaatlich können wir die immer größer werdenden Herausforderungen der Gegenwart meistern. Nur gemeinsam in Europa haben wir eine Chance, eine solidarische, auf Gerechtigkeit aufbauende Gesellschaft zu gestalten. Politiker, die heute nationalstaatliche Lösungen propagieren, um im politischen Alltagsgeschäft zu punkten, spalten unsere Gesellschaft und Handeln in meinen Augen gegen die christlichen Werte. Ich weiß, dass der ethische Universalismus des Christentums für das tägliche politische Handeln eine schwierige Maxime ist. Wer jedoch sein Christentum ernst nimmt, kommt auch als Politiker um diese Aufgabe nicht herum.

Unser alter Kontinent Europa ist schön, er beherbergt die großartigste Vielfalt europäischer Kunst und Kultur, europäischer Sprachen und europäischer Landschaften. Europa ist die Heimat unterschiedlichster Menschen in ihrer herrlichen Vielfalt von Begabungen, die Gott Ihnen gegeben hat. Dieses Europa, in seiner Art zu leben, weltoffen, solidarisch, die Menschenwürde jedes Einzelnen achtend, ist etwas, für das es sich zu kämpfen lohnt. Meine Generation, unsere Generation, ist deshalb jetzt aufgefordert, die Errungenschaft des politisch vereinten Europas, welches unsere Mütter und Väter mühsam aufgebaut haben, zu verteidigen und zu bewahren. Gegen Menschen, die aus der Geschichte offensichtlich nicht lernen wollen. Gegen Politiker, die das Holocaust-Mahnmal für ein »Denkmal der Schande« halten. Wir alle müssen Gesicht zeigen, eintreten für ein Deutschland, welches frei von neuer rechter Gewalt ist und für eine Gesellschaft, in der Andersaussehende mitten unter uns nicht um ihr Leben fürchten müssen. In der Menschen offen und ohne Angst mit einem Davidstern um den Hals durch unsere Straßen laufen können. Wir sind es uns selber schuldig, ein weltoffenes, demokratisches und solidarisches Europa zu verteidigen. Noch viel mehr sind wir es Menschen wie Margot Friedländer oder Inge Deutschkron, die als Holocaust Überlebende noch unter uns sind, schuldig. Gleichzeitig müssen wir uns trauen, in der Gestaltung Europas neue Wege zu wagen.

Ob solche neuen Wege von christlichen Impulsen geprägt sein könnten? Diese Frage wurde schon mehr als einmal in der Stiftung kontrovers diskutiert. Ich persönlich würde es mir wünschen.

Wer als Christ Politik macht, egal in welcher Partei, muss dabei auch im praktischen Handeln sein christliches Menschenbild ernst nehmen und zur Grundlage seiner Politik machen. Die Ansicht von Jens Spahn, vor kurzem geäußert, hier, in dieser Stadt, auf einer Veranstaltung zur Frage »Was ist Gerechtigkeit?«, dass die christlichen Gerechtigkeitsideen von Mitleid, Barmherzigkeit und Nächstenliebe nur etwas für das Private und die Familie seien, aber draußen im Leben gälten Recht und Gesetz, ohne Ansehen der Person, kann ich so nicht teilen. Da halte ich es dann doch eher, um bei der gleichen Partei zu bleiben, mit den nordrhein-westfälischen CDU-Ministerpräsidenten Armin Laschet, der das christliche Menschenbild insgesamt auch für sein politisches Handeln als verbindlich ansieht. Dies gilt auch für die Europapolitik und für die europäische Gesellschaft, in der wir in Zukunft leben wollen. Ich hoffe, dass sie auch mitgeprägt ist vom christlichen Weltbild und von christlicher Solidarität, auch zwischen den Nationen und zwischen den europäischen Menschen, die dieses Europa gemeinsam bauen und bilden müssen.

Natürlich sind Sätze wie: »Liebet eure Feinde und betet für die, die euch beleidigen und verfolgen«, oder: »Was du dem geringsten meiner Brüder getan hast, das hast du mir getan«, für den politischen Alltag eine wirkliche Herausforderung und für viele eine Provokation. Von der Aussage Jesu Christi: »Ich war fremd und obdachlos und ihr habt mich aufgenommen«, wollen wir erst gar nicht reden in den heutigen Tagen.

Dahinter stellt sich die uralte Frage, ob man die Aussagen der Bergpredigt im täglichen Leben jedes Einzelnen von uns und auch in der Politik umsetzen kann. Ich bin ehrlich und muss sagen, ich weiß es nicht, sicherlich werden die christlichen Werte zum Beispiel der Bergpredigt auch und gerade in der Politik oftmals nur ein Ideal bleiben können. Doch wo wären wir ohne dieses Ideal? Wie sähe unsere Gesellschaft in Deutschland und in Europa aus, ohne diese christlichen Wertevorstellungen? Thomas Assheuer stellt in seinem lesenswerten Artikel »Liebet eure Feinde« in der Zeit dieser Woche die provokante These auf, dass wir uns ohne Bergpredigt vielleicht an empörende Verhältnisse in unserer Gesellschaft und auf der Welt eher gewöhnen würden und vielleicht keine moralischen Probleme mehr damit hätten, wenn die Deutsche Bank ihren Mitarbeitern 2,3 Milliarden Euro Boni bezahlt und ein ausgeschiedener VW-Vorstandsvorsitzender mit 3100€ Rente am Tag auskommen muss. Aber wollen wir das? Wie gut, dass wir uns noch empören können, mit der Hoffnung, dass aus dieser Empörung heraus eine positive Veränderung erwachsen kann.

Da freue ich mich doch als protestantischer Christ, dass es immer wieder Politikerinnen und Politiker gibt, aber auch engagierte Bürgerinnen und Bürger, die versuchen, in ihrem täglichen Leben die christlichen Werte ernst zu nehmen und zu leben, so schwer dies auch immer wieder ist und wie fehlbar wir damit oftmals auch sind.

Die, die dies tun sind die wahre Frucht am Weinstock des Herrn.

Amen.