»Es ist mir eine Ehre«

Was Haare schneiden mit Glück zu tun hat – Tayyar »Toni« Güngörmüs engagiert sich ehrenamtlich für die Björn Schulz Stiftung

 

Seit 44 Jahren lebt er in Berlin, seine Arme sind tätowiert, sein Körper durchtrainiert – Toni ist ein Mann, der das Leben kennt. Eigentlich heißt er Tayyar Güngörmüs. Aber im Kiez kennt man ihn als Toni. Seit 17 Jahren ist er Frisör und hat seinen eigenen Laden in Kreuzberg. Etwas zeichnet ihn besonders aus: Er arbeitet ehrenamtlich im Sonnenhof, dem Hospiz für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene der Björn Schulz Stiftung. Was bewegt Toni dazu, schwerstkranken Kindern und deren Familien die Haare zu schneiden und was bedeutet für ihn »Glück heute«? Wir haben mit ihm gesprochen.

»Ich wollte Menschen helfen, die in dieser Gesellschaft benachteiligt sind«, beginnt er zu erzählen. »Ich spende jeden Monat Geld in die Türkei. Meine Mutter verteilt das Geld dort an bedürftige Menschen. Aber ich wollte auch hier helfen.« So machte er sich auf die Suche, was anfangs gar nicht so einfach war. »Mein Freund erzählte mir von dem Aufenthalt mit seinem kranken Kind in einem Hospiz und davon, wie schwer die Zeit für die Familie war. Das war der Auslöser, mich im Sonnenhof vorzustellen«. Toni hat einen starken Charakter: Vielleicht wirkt er auf manche arrogant, so sagt er von sich selbst, aber er ist ein ehrlicher Mensch mit Herz. »Die im Sonnenhof waren anfangs schon sehr skeptisch wegen meiner Art. Aber sie haben mich kennengelernt und wissen nun, dass ich der allerliebste Mensch der Welt bin«. Er lacht. Seit zwei Jahren schneidet er den Kindern und Jugendlichen sowie ihren Eltern die Haare.

Er kann viele Geschichten aus dem Sonnenhof erzählen. »Manchmal braucht es keine Worte. Die Eltern sind unendlich dankbar. Das spüre ich an ihren Augen, ihren Blicken und Herzen«. Eine Geschichte ging ihm besonders nahe. Nennen wir ihn Paul. Paul ist 16 Jahre und seine Zeit ging dem Ende entgegen. »Paul ließ kaum jemanden an sich ran«, erinnert sich Toni. So baten die Sonnenhofmitarbeiter Toni, mit Paul zu sprechen. Es war nicht so leicht, aber schließlich ließ der Junge sich auf Toni ein. Er gewann sein Vertrauen und wurde zu einer wichtigen Bezugsperson. Worüber die beiden gesprochen haben, erzählt uns Toni nicht. »Kinder merken, was von Herzen kommt«, sagt er nur dazu. Kurz vor seinem Tod hatte er die Möglichkeit, sich von dem Jungen zu verabschieden. »Ich habe mich bei ihm dafür bedankt. Ich habe ihm nicht gezeigt, wie traurig ich war.« Während er das erzählt, stehen ihm die Tränen in den Augen. »Kinder sind Engel«, ergänzt er.

Toni arbeitet an sechs Tagen in der Woche in seinem Frisörladen. Einen seiner freien Sonntage im Monat spendet er dem Sonnenhof. Er spricht mit niemanden darüber, dass er ehrenamtlich arbeitet. Auch war es nicht so leicht, ihn für das Interview zu gewinnen. »Ich gebe das Interview, damit andere auch helfen. Damit andere sehen, wie man helfen kann. Damit sie sich bewusstwerden, wie gut es ihnen geht...« Pause. »Ich mache das hier mit Liebe und freue mich immer sehr darauf. Auch wenn ich viel runterschlucke.« Die Kinder und Eltern fragen nach Toni. Sie haben ihn sehr gern. Er nimmt die Menschen ernst, redet in ‚Erwachsensprache‘ – mit allen. Er ist ehrlich. »Ich scherze auch mit den Eltern. Ich frage sie nicht nach der Krankheit ihrer Kinder. Sie sind belastet genug.« Und so genießen die Eltern die Auszeit mit Toni. Die Krankheit rückt in den Hintergrund. Toni verstellt sich nicht. Nie. Das kann er gar nicht. »Ich will die Menschen beglücken… weinen tun sie allein«, sagt er. Er zollt den Mitarbeitern des Sonnenhofes großen Respekt: »Sie machen ihren Job von ganzem Herzen und geben ihre Liebe dazu.« Das sei mit ein Grund, warum er das tue. »Ich habe das große Glück, dass ich diesen Job machen darf«, sagt er. Er respektiert jede Religion und lässt jeden leben, wie er ist. »Ich bin dankbar, dass Gott mir diese Aufgabe gegeben hat.« Er sagt, ihm wurde ein Zeichen gegeben, das zu machen. »Ich gönne mir viel im Leben. Aber ich kenne auch die andere Seite und gebe viel zurück. Ich bin zu tiefst dankbar. Dankbarkeit ist nicht zu bezahlen!«

Und nochmals auf die Frage, was Glück heute für ihn bedeutet, ergänzt er: »Gott hat mir diese Chance gegeben. Darüber bin ich sehr glücklich. Glück ist für mich, Menschen helfen zu dürfen, denen es nicht so gut geht. Es ist mir eine Ehre!«

 

Autorin Monika Janssen arbeitet in der Björn Schulz Stiftung als Referentin im Bereich Stiftungskommunikation und Fundraising, unter anderem mit dem Schwerpunkt Unternehmenskooperationen. Die gelernte Bankkauffrau und Sozialmanagerin hat zuvor über zehn Jahre ein Nachsorgezentrum zur Begleitung von Familien mit schwerkranken Kindern in der Region Aachen geleitet.

Der Artikel wurde im Rahmen der Berliner Stiftungswoche 2019 veröffentlicht.